Warum hat die Vase im Boden ein Loch?
Exkursion der Griechischkurse nach Leipzig bot lohnende An- und Einsichten
Alter Kram, totes Wissen, verschwendete Zeit – so lauten gängige Vorurteile gegen das Schulfach Altgriechisch. Zum Gegenbeweis brachen am 28. Juni 2022 die Griechischschülerinnen und Griechischschüler des Ratsgymnasiums Goslar auf. Bei einem Besuch des Leipziger Antikenmuseums überprüften sie, inwiefern sich Griechischunterricht doch lohnt.
Lange hatten die dreißig Schülerinnen und Schüler und ihre Lehrer Andreas Sienknecht und Dr. Ruth Mariß auf die pandemiebedingt verschobene Exkursion warten müssen. Welch glückliche Fügung, dass die Bundesregierung ausgerechnet für den Monat Juni erstmals das 9-Euro-Ticket auf den Weg brachte! Kostengünstiger hätte die Bahnfahrt Goslar–Leipzig und retour nicht ausfallen können. Das Warten zahlte sich also schon einmal aus, und das im wahrsten Sinne des Wortes.
Doch welchen Gewinn brachte der Besuch des Museums ein? Die Sammlung der Leipziger Universität, die rund 550 Objekte aus dem griechischen und römischen Kulturraum beherbergt, bestach vor allem durch die vielen qualitätvollen Exponate griechischer Gefäßkeramik. Von trojanischen Behältnissen, die der berühmte Ausgräber Heinrich Schliemann höchstpersönlich an das Licht der Oberwelt gefördert hatte, über Gefäße mit geometrischer Bemalung bis hin zu attischen Vasen des schwarzfigurigen und rotfigurigen Stils bildete die Sammlung die ungeheure Zeitspanne von etwa 2000 bis ungefähr 300 v. Chr. ab. Bei der fachkundigen Führung durch das Museum lernten die Schülerinnen und Schüler aber nicht nur die zeitliche Dimension antiker Keramikkunst kennen, sondern erfuhren auch Beachtliches über die Funktion der Gefäße. Wer sich etwa eine mykenische Stierkopfvase von unten anschaute, bemerkte das Loch in ihrem Boden. Trankspenden an die Götter konnten mühelos bewerkstelligt werden, wenn man den Verschluss, in der Regel den eigenen Finger, herauszog. Wie zentral die Verehrung der Götter in der griechischen Kultur war, zeigten auch die Vasenbilder: Sportliche Wettkämpfe mit kultischer Funktion prägten den Alltag der Griechen ebenso wie Trinkgelage, die nicht nur dem eigenen Vergnügen dienten, sondern auch den Weingott Dionysos würdigten. Doch die Schülerinnen und Schüler lernten nicht nur Neues, sondern konnten auch ihr im Unterricht erworbenes Wissen sozusagen in der Praxis anwenden. So glänzten nicht wenige bei der Erklärung der abgebildeten mythologischen Szenen mit ihren Kenntnissen über den Trojanischen Krieg oder die Arbeiten des Helden Herakles und entzifferten, sehr zum Erstaunen der freundlichen Museumsführerin, mühelos originale Beischriften in griechischen Buchstaben.
Von welch prägender Wirkung die griechische Kunst für die Römer war, erfuhren die Schülerinnen und Schüler bei der Begegnung mit Werken römischer Bildhauerei. Diese hatten dann ihren stärksten Auftritt, wenn sie vom griechischen Vorbild profitierten. So beeindruckte der nach einem griechischen Original gearbeitete Marmortorso einer Amazone, die sich wie ihre Geschlechtsgenossinnen durch kriegerischen Wagemut auszeichnete, durch sein realistisch ausgearbeitetes Gewand. Überhaupt war das Plagiat in der Antike nichts Verwerfliches und die Römer bekannten sich nicht zuletzt selbst zu ihrer künstlerischen Unterlegenheit unter die Griechen. Das überliefert jedenfalls Vergil, der patriotischste aller römischen Dichter, der die originäre Leistung der Römer übrigens im Beherrschen Besiegter sah.
Helios, der Sonnengott, meinte es an diesem Tag gut, aber zum Glück nicht zu gut. So lud das angenehme Sommerwetter nach dem Pflichtprogramm zu einem vergnüglichen Bummel durch die Leipziger Innenstadt ein. Die freie Zeit nutzten die Schülerinnen und Schüler aber auch, um nun selbstständig auf historische und kulturelle Entdeckungsreise zu gehen. Die Thomaskirche, Wirkungsstätte Johann Sebastian Bachs, und die Nikolaikirche, 1989 Ausgangspunkt der friedlichen Revolution in der DDR, ließen die nicht ganz so ferne Vergangenheit lebendig werden, das sogenannte Neue Augusteum, Hauptgebäude der Universität Leipzig, bot ein eindrucksvolles Beispiel moderner Architektur.
Resümee der Exkursion: Altgriechisch macht Spaß, Altgriechisch bildet, Altgriechisch lohnt sich! Quod erat demonstrandum, auch wenn das natürlich Lateinisch ist.
Dr. Ruth Mariß
Vorsitzende der Fachschaft Alte Sprachen